Biologie

Wie Krebse aus Maya-Höhlen die Medizin inspirieren

Spezielle Proteine aus Krebstoxinen könnten zu neuen Medikamenten führen

Foto des Unterwasserkrebs Xibalbanus tulumensis
Der Unterwasserkrebs Xibalbanus tulumensis enthält Toxine, aus denen nun Wirkstoffe gegen neurologische Erkrankungen entwickelt werden sollen. © Björn M. von Reumont

Pharmazeutisches Potenzial: Ein nur in den wassergefüllten Cenoten in Mexiko vorkommender Krebs hat großes Potenzial für die Medizin. Denn im Körper dieses seltenen Unterwasserkrebses Xibalbanus tulumensis haben Forschende eine neuartige Klasse an Giftstoffen gefunden. Die Toxine hemmen verschiedene Ionenkanäle in Nervenzellen und könnten daher genutzt werden, um Medikamente für neurologische Erkrankungen wie Epilepsie oder auch Schmerzmittel zu entwickeln.

Viele Tiere stellen Gifte her, um sich gegen Feinde zu verteidigen oder um Beute zu erlegen. Dafür bilden sie ein Gift in einer Giftdrüse und injizieren es gezielt in die Beutetiere. Diese Toxine können je nach Zusammensetzung auf die Muskeln, Nerven oder auch das Blut der Beute wirken und es dadurch lähmen oder töten. Ihre Wirkungsweise macht solche tierischen Toxine auch für Forschende interessant, die nach Wirkstoffen für neue Medikamente suchen.

Die Gifte einiger Tiere sind in dieser Hinsicht bereits recht gut untersucht, darunter die Toxine der Schlangen, Spinnen, Skorpione und Insekten. Von Meeresbewohnern existieren hingegen bisher nur Daten für die Gifte einzelner Tierarten. Dass es auch unter den Krebstieren (Crustacea) giftige Arten gibt, war lange unbekannt. Vor zehn Jahren wurde allerdings entdeckt, dass sogenannte Remipeden ebenfalls Toxine produzieren. Diese Krebse erinnern optisch eher an Hundertfüßer, sind entfernt mit Insekten verwandt und leben in marinen Unterwasserhöhlen.

Taucher in einer der Unterwasserhöhlen in Mexiko
Tauchgang: Der Krebs Xibalbanus tulumensis kommt nur in den Cenoten vor – Unterwasserhöhlen in Mexiko. © Björn M. von Reumont

Tauchgang in heiligen Höhlen der Maya

Ein Forschungsteam um Ernesto Lopes Pinheiro‑Junior von der Universität Leuven hat nun erstmals die Giftstoffe eines solchen Remipeden detailliert untersucht: von Xibalbanus tulumensis. Diese Krebsart kommt nur in Cenoten vor – dem Unterwasser-Höhlensystem auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán. Den einst dort lebenden Maya galten die mit Meerwasser gefüllten Karsthöhlen als Eingang zur göttlichen Unterwelt, häufig nutzten sie die Sinklöcher auch für Opferzeremonien.

Um den seltenen Krebs zu untersuchen, tauchten Pinheiro‑Junior und sein Team mehrfach in einige der Maya-Cenoten und sammelten dort Exemplare dieser Tierart. Anschließend untersuchten sie die Krebse im Labor, um herauszufinden, welche Giftstoffe sie enthalten und wie diese wirken.

Unterwasser-Krebs enthält neuartige Giftstoffe

Die Tests bestätigten die Hinweise früherer Studien, wonach die Giftmischung der Krebse mehrere Komponenten enthält. Darunter war eine neue Art von kleinen Proteinen, von denen einige allgemein in Remipeden und andere ausschließlich in Xibalbanus tulumensis vorkommen – Xibalbine getauft. Einige dieser Xibalbine enthalten ein charakteristisches Strukturelement, wie die Analysen enthüllten: Mehrere Aminosäuren des Proteins sind über stabile Disulfidbrücken so miteinander verbunden, dass eine knotenähnliche Struktur entsteht.

Dieser Aufbau macht die Proteine widerstandsfähig gegen Hitze, extreme pH-Werte und proteinabbauende Enzyme. Derartige knotenhaltige Proteine sind auch von anderen tierischen Giftmischungen bekannt, vor allem von Spinnen. Deren Gifte wirken oft als Neurotoxine: Sie interagieren mit den Ionenkanälen der Nerven und können so Beutetiere lähmen. Zugleich lösen sie Gewebe- und Zellstrukturen auf und „verflüssigen“ so die Beute. Lopes Pinheiro‑Junior und seine Kollegen testeten daher, ob auch die in dem Höhlenkrebs gefundenen Xibalbine eine solche Wirkung haben.

Toxine der Remipeden sind Nervengifte

Tatsächlich hemmten alle getesteten Xibalbin-Peptide Kaliumkanäle, die beispielsweise in den Neuronen von Säugetieren vorkommen, wie die Tests zeigten. Die Toxine der Remipeden sind demnach ebenfalls Nervengifte – insbesondere Xib1, Xib2 und Xib13. „Diese Hemmung ist von großer Bedeutung für die Entwicklung von Wirkstoffen für die Behandlung einer Reihe von neurologischen Krankheiten, einschließlich Epilepsie“, sagt Seniorautor Björn von Reumont von der Goethe-Universität Frankfurt.

Die Peptide Xib1 und Xib13 konnten zusätzlich zu den Kaliumkanälen auch spannungsabhängige Natriumkanäle hemmen, wie die Analysen ergaben. Solche Kanäle kommen etwa in Nerven- oder Herzmuskelzellen vor. Außerdem können diese beiden Peptide in Sinnesnervenzellen von Säugetieren zwei Proteine aktivieren, die an der Signalübertragung bei Schmerzen beteiligt sind, die Kinasen PKA-II und ERK1/2. Letzteres lässt die Forschenden vermuten, dass Xib1 und Xib13 an der Schmerzsensibilisierung beteiligt sind. Die Giftstoffe könnten daher auch neue Ansätze in der Schmerztherapie eröffnen.

Natur hält noch ungeborgene Schätze bereit

Die neu entdeckten Xibalbine und ihre Eigenschaften verdeutlichen, dass marine Lebewesen über Substanzen verfügen, deren medizinisches Potenzial bislang nicht ausgeschöpft wurde. Die Herstellung von Arzneimitteln aus Tiergiften ist jedoch ein komplexer und zeitaufwändiger Prozess, betont das Team. „Geeignete Kandidaten zu finden und ihre Wirkung umfassend zu charakterisieren, sodass damit die Basis für sichere und wirksame Arzneimittel gelegt wird, ist heute nur noch in einem großen interdisziplinären Team wie in unserer Studie möglich“, sagt von Reumont.

Foto vom oberirdischen Eingang zu einer Cenote
Eingang zu einer Cenote: Den Maya waren die Karsthöhlen heilig. Sie galten als Eingang zur göttlichen Unterwelt. © Björn M. von Reumont

Bis aus dem Krebsgift Medikamente werden, kann es daher noch etwas dauern. Im Falle der Remipeden-Forschung drängt allerdings die Zeit. Denn quer durch die Halbinsel Yucatán soll das Intercity-Eisenbahnnetz Tren Maya gebaut werden. Dadurch wird der Lebensraum der Giftkrebse massiv bedroht. „Die Cenoten sind ein hochsensibles Ökosystem“, erklärt von Reumont. „Unsere Studie verdeutlicht, wie wichtig der Schutz der biologischen Vielfalt ist – nicht nur wegen ihrer ökologischen Bedeutung, sondern auch wegen potenziellen Inhaltsstoffen, die für uns Menschen von entscheidender Bedeutung sein können.“

In Folgestudien will das Team nun die Xibalbine aus dem Krebsgift mit den Toxinen von Insekten vergleichen und neben deren Aufbau und Funktion auch ihre genetische Verwandtschaft klären.
(BMC Biology, 2024; doi: 10.1186/s12915-024-01955-5)

Quelle: Goethe-Universität Frankfurt

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